Illusionen – wie Schwanensee

„Illusionen – wie Schwanensee“

König Ludwig II. liebte die Musik, vor allem aber dramatische Inhalte, wie Theaterstücke, die sich mit historischem Inhalt befassen. Er hielt allerdings nicht viel von Balletten, war „kein Ballettomane“, wie Kurt Hommel schrieb. Ludwig selbst musizierte, den Überlieferungen nach, wohl eher schlecht; er ließ lieber spielen. Zu seinen Favoriten zählte – neben Richard Wagner (1813-1883) natürlich – Christoph Willibald von Gluck (1714-1787), Giacomo Meyerbeer (1791-1864) und auch Wolfang Amadeus Mozart (1756-1791). Russische Komponisten, wie Pjotr Iljitsch Tschaikowski (Peter Tschaikowsky, 1840-1893) gehörten eher nicht zu den bevorzugten Tonsetzern.

Das Ballett „Schwanensee“ wurde 1877 in Moskau uraufgeführt und gehört heute zum Standardre-pertoire klassischer Ballettkompanien.

Die aus vier Akten bestehende Handlung wurde mehrfach umgeschrieben und verändert. Grundlage ist jedoch immer die Geschichte von der verzauberten Prinzessin, die nur durch die wahre Liebe aus dem Bann des bösen Zauberers erlöst werden kann.

Handlung

1. Akt: Der 21jährige Protagonist Prinz Siegfried sondert sich auf seiner Geburtstagsfeier ab, als ihm die Königsmutter seine Unbeschwertheit vorwirft. Er wird von einer unbestimmten Melancholie erfasst und sieht am Himmel weiße Schwäne vorüberziehen.

2. Akt: Am Schwanensee erscheint im Mondlicht ein wunderschönes Schwanenmädchen, das aus dem Wasser tritt. Die Schwanenkönigin hält Siegfried von seinem Schuss mit der Armbrust ab: der Schwan ist die vom Zauberer Rotbart verwandelte Prinzessin Odette. Nur die ewige Liebe kann sie erlösen; Siegfried schwört ihr ewige Liebe und Treue.

3. Akt: Zum Festball am nächsten Tag erscheint Rotbart mit einem verführerischen, negativen Ebenbild von Odette, in der Siegfried Odette zu erkennen glaubt, der er verfällt. Odette entschwebt als weißer Geist und Siegfried läuft verzweifelt zum See.

4. Akt: Siegfried bittet Odette am See bei ihren Schwänen um Vergebung; Rotbart schickt daraufhin eine Welle und droht Siegfried zu ertränken…

Ludwig und das Ballett

Die Geschichte des „Schwanensee“ ist also nicht nur aus heutiger Sicht gerade zu bezeichnend für die Geschichte König Ludwig II. – der Schwan stand ja auch für ihn als Sinnbild für die reine Schönheit. So dürfte sowohl die Musik selbst, als auch die Geschichte von „Prinz Siegfried“ den Geschmack Ludwigs repräsentieren.

Für Ludwig waren Aufführungen mit historischem/historisierendem Hintergrund von großer Bedeutung, hier vor allem aus dem Themenbereich, der sich mit den Bourbonen beschäftigte.

In den 209 Separatvorstellungen, die sich Ludwig von 1871/72 bis 1885 ansah, wurden zwar 11 Bal-lette aufgeführt; Tschaikowsky gehörte allerdings nicht dazu.

Grundsätzlich hatte das Ballett zu Ludwigs Zeiten einen schlechten Stand; nach Hommel wurde das russische Ballett „förmlich negiert“. So verwundert es nicht, dass die Ballettkunst beim breiten Publikum des späten 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum nicht besonders beliebt war.

Das Ballett wurde verächtlich gemacht und stand für das Lüsterne und Geckenhafte. Ludwig schaffte es aber, dem Ballett „wenigstens durch reiche Ausstattungen wieder zu eigenem ästhetisch-künstlerischem Wert“ zu verhelfen.

Aufführung in Hamburg

Zu den bekanntesten neuen Interpretationen gehört die Inszenierung von John Neumeier (*1942 Milwaukee, USA): „Illusionen – wie Schwanensee“, die schon 1976 in Hamburg uraufgeführt wurde, wo er seit 1973 Ballettdirektor und Chefchoreograph ist.

Neumeier ist selbst Tänzer und an vielen anderen Orten als Gast-Choreograph engagiert; seine Choreographien wurden mehrfach ausgezeichnet. Er arbeitet als Direktor der von ihm gegründeten Ballettschule Hamburg.

Die Staatsoper in Hamburg wurde 1678 als erstes öffentliches Opernhaus in Deutschland gegründet. Es gehört zu den weltweit führenden Opernhäusern. In der Spielzeit 2012/13 feiert das Haus „40 Jahre Hamburg Ballett – John Neumeier“. Zum Jahreswechsel wird die Inszenierung von Neumeier jetzt wieder aufgeführt.

John Neumeier: „Grundlegende Ideen und Motive sind musikalisch eigenständig neu formuliert: Die Suche nach wahrem Glück und Liebe als Ausweg aus verzweifeltem inneren Kampf. Und dieser Inhalt scheint mir verbindlicher als einzelne Details der Balletthandlung. Der Schritt vom Märchenmythos des Librettos zu einem anderen „Schwanenmythos“ desselben Jahrhunderts, in dem sich die psychologische Struktur stärker offenbart als im ursprünglichen Ballettszenarium, liegt nahe, zumal von beiden Mythen bis heute die gleiche Zauberwirkung und eine ähnliche „magische Aura“ ausgehen. Überraschender als die offensichtlichen Parallelen zu Ludwig II., dem bayrischen Märchenkönig, der sich in Neuschwanstein ein Schwanenritterschloss und eine mystische Scheinwelt erbaute, sind die inneren Analogien im Schicksal und in der psychischen Situation Tschaikowskys, Ludwigs II. und Siegfrieds, des „Schwanensee“-Prinzen – eine unerwartete Verwandtschaft.“

Die Übertragung der ursprünglichen Handlung in Ludwigs Milieu liegt also auf der Hand. In Neumei-ers Interpretation wird der König für wahnsinnig erklärt und während eines Maskenballs festgenommen und im Rohbau seines eigenen Schlosses eingesperrt. Im Wechselspiel dreier Erinnerungen mit der Wirklichkeit sieht der König eine Separatvorstellung des „Schwanensee“ und übernimmt selbst die Rolle des Prinzen Siegfried. Rotbart verwandelt sich in „den Mann im Schatten“. Am Schluß – in der Wirklichkeit – besucht ihn Prinzessin Natalia, des Königs Verlobte, in seinem Gefängnis; er schickt sie aber endgültig weg. Als sich Fantasien und Wahnvorstellungen vermischen, empfindet der König die Gegenwart des „Mannes im Schatten“, wendet sich ihm zu und nimmt sein Schicksal an.

In der wunderbaren Schlussszene stirbt der König tanzend – doppelbödig in den Armen einer männlichen Schattengestalt. Möglicherweise ist dies als Sinnbild für das Zerbrechen eines zivilisierten Menschen am eigenen Ideal zu verstehen.

Fakten

Illusionen – wie Schwanensee. Das Ballett von John Neumeier dauert 3 Stunden und 15 Minuten und hat zwei Pausen

Besetzung:
Der König: Alexandre Riabko / Thiago Bordin
Prinzessin Natalia: Carolina Agüero / Diana Vishneva als Gast
Der Mann im Schatten: Carsten Jung / Dario Franconi
Odette: Silvia Azzoni / Anna Laudere
Prinzessin Claire: Anna Laudere / Mariana Zanotto
Graf Alexander: Edvin Revazov / Alexandr Trusch
Die Königinmutter: Anna Polikarpova / Patricia Tichy
Prinz Leopold: Ivan Urban
Prinz Siegfried: Silvano Ballone / Florian Pohl
Musikalische Leitung: Simon Hewett
Philharmoniker Hamburg

Die Aufführungen beginnen jeweils um 19 Uhr (Ende: 22:15 Uhr); die Karten kosten zwischen 4 und 97 Euro.

Die Vorstellungen finden am 20., 22., 26. (mit einer Nachmittagsvorführung) und am 27. Dezember 2012 statt.

Literaturempfehlungen

Schwanensee:

Thomas Kohlhase: Schwanensee in: Einführung in ausgewählte Werke Petr Il’ič Čajkovskijs, Schott 1996, S. 13–31
Klaus Kieser/Katja Schneider: Reclams Ballettführer, Philipp Reclam jun. 2009
Klaus Kieser/Bettina Stöß: Ballett heute, Philipp Reclam jun. 2012
Horst Kögler: John Neumeier. Bilder eines Lebens, Edel Germany 2010

König Ludwig II:

Robert Münster: König Ludwig und die Musik, Rosenheimer 1980
Kurt Hommel: Der Theaterkönig Ludwig II. von Bayern, Verlag Wilhelm Unverhau 1980
Kurt Hommel: Die Separatvorstellungen vor König Ludwig II. von Bayern, Laokoon Verlag 1963

Michael Fuchs, Dezember 2012

Download der PDF-Datei (mit Abbildungen):

Ludwigiana.de – Illusionen wie Schwanensee